EIN ARTIKEL AUS „ZEIT ONLINE“ VOM 01. APRIL 2016:
Traumstück
:
Tönerne Kraft
Unterschätzt: Keramik von Robert Sturm
Von Sebastian Preuss
1. April 2016 DIE ZEIT Nr. 13/2016, 17. März 2016
Das Arbeiten an der Drehscheibe hat er immer abgelehnt. Robert Sturm war Bildhauer, so formte er auch den Ton. Der 1935 geborene, 1994 verstorbene Künstler entdeckte um 1967 die Keramik als plastisches Medium, das ihn fortan nicht mehr loslassen sollte. Er arbeitete mit Tonplatten, die er aufwendig manipulierte, verkantete, spaltete, fragmentierte und zusammensetzte. In endlosen Experimenten traktierte er die Oberflächen und erprobte die Glasuren. Plastik von 1972 ist tektonisch und zugleich fragil aus dem Lot gebracht; die Konstruktion beinhaltet bereits ihre Dekonstruktion. Auch die bewegte Glasur zeugt vom ewig Unfertigen. Sturms Werke, unter Keramiksammlern längst begehrt, sind jetzt in der Johnen Galerie in Berlin zu erleben, eindrucksvoll präsentiert und erstmals in einem Rahmen, im dem sonst Jeff Wall oder Rodney Graham gezeigt werden (noch bis 16. April). Für die künstlerische Keramik, sonst eher eine abgeschottete Szene, ist das ein Riesenschritt. Natürlich ziehen dabei auch die Preise mit. Die 22 Zentimeter hohe Plastik kostet stolze 15.000 Euro, doch für diesen bedeutenden, lange verkannten Künstler ist das alles andere als überteuert.
Sebastian Preuss ist stellv. Chefredakteur von „Weltkunst“ und „Kunst und Auktionen“